MOMMY I'M SORRY

Was Nutten mit Tätowierern gemeinsam haben (Interview Teil 1)

Was Nutten mit Tätowierern gemeinsam haben (Interview Teil 1)


1984. Da waren die meisten unserer Kunden noch nicht einmal auf der Welt oder gerade im Kindergarten. Im weit entfernten Hamburg wurde Ernst Günter Götz, genannt Günter, damals die “Älteste Tätowierstube in Deutschland” von seinem Halbonkel Herbert Hoffmann übergeben.

 

Mittlerweile ist Günter seit 35 Jahren dabei und somit dienstältester Tätowierer Deutschlands. Im Interview spricht er mit uns über die Tattoo-Kultur auf dem Kiez, die Rocker, Anwälte und Knastologen in seinem Studio und verrät, was Nutten mit Tätowierern gemeinsam haben.

Q: Günter, euer Tattoo-Studio ist seit 1946 angemeldet. Zu dieser Zeit hatte auch der Urvater der deutschen Tätowierer, Christian Warlich, zehn Autominuten von hier entfernt sein Studio. Hat er auf irgendeine Art und Weise Einfluss auf eure Arbeit genommen?

 

A: Herbert Hoffman wurde nach eigener Aussage von Christian Warlich zu dessen Kronprinz ernannt. Zur damaligen Zeit lief jedoch alles etwas anders ab. Es gab vielleicht eintausend Tätowier-Motive. Die wurden von den Künstlern untereinander ausgetauscht. Christian Wahrlich hat womöglich 35 Motive selbst gezeichnet, besaß aber zum großen Teil dieselben wie ein Ole in Kopenhagen oder ein Peter in Amsterdam.

Q: Also sind viele Menschen früher mit denselben oder ähnlichen Tattoos rumgelaufen…

 

A: …ganz richtig

Q: Was ist heute daraus geworden?

 

A: Die Motive, die früher von Künstlern gezeichnet wurden, sind heutzutage nicht mehr besonders gefragt. Wenn man sie heute zeichnet, muss man sie modernisieren, damit sie tätowierbar sind. Ansonsten würden da nur komische Fratzen und krumme Segelschiffe bei rauskommen.

Q: Abgesehen davon: Inwieweit hat sich die Tattoo-Kultur auf dem Kiez im Laufe der Jahre verändert?

 

A: Der Kiez war früher mehr Sex, Table Dance und Live-Shows. Heute ist die Reeperbahn zur Partymeile und zum Ort für An- und Verkauf geworden. Vom Kiez übrig geblieben ist nicht viel. Unsere Kundschaft hat sich dadurch aber nicht verändert. Die Leute, die hierherkommen, wissen, warum sie hier sind.

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Q: Was sind das so für Menschen?

 

A: Ich habe garantiert schon Knastologen tätowiert, ich habe aber auch Menschen aus besseren Kreisen tätowiert.
Ich habe eine Richterin tätowiert, mehrere Rechtsanwälte. Ich habe Priester aus verschiedenen Konfessionen tätowiert.

 

Komischerweise sind aus meinen Erfahrungen Leute, die aus besseren Kreisen stammen, aufgeschlossener gegenüber Tätowierungen, als die Kunden bei der Friseurin von nebenan. Die “einfachen” Leute sind ab und an eben doch so ein bisschen etepetete.

Q: Und wie stehst Du auffälligen Tattoos gegenüber?

 

A: Ich habe kein Problem mit Leuten, die den Hals oder die Hände tätowiert haben. Aber ich halte da nicht viel von. Manchmal sollte man wirklich die Kirche im Dorf lassen. Ich bin bis heute der Meinung: Eine Tätowierung ist etwas für mich. Wenn ich sie zeige, muss sie geil aussehen. Wenn ich sie aber nicht zeigen will, geht das keinen was an.

 

Man kann den ganzen Körper voller Tattoos haben, muss es aber nicht offensichtlich zeigen. Da geht’s gar nicht zwingend um einen selbst. Wenn ich als Vater zum Elternabend in die Schule gehe und die Lehrerin hasst Tattoos, wer leidet dann darunter? Mein Kind oder ich selbst?

Q: Eure Adresse auf dem Hamburger Berg ist nicht gerade für ruhige Nächte und saubere Straßen bekannt. Gab’s da schon mal Schwierigkeiten?

 

A: Es gab mal einen Typen, der aus dem Knast auf Bewährung raus war und unter Alkoholeinfluss sehr exklusive Vorstellungen geäußert hat, denen ich nicht nachgegangen bin. Stattdessen habe ich ihn rauskomplimentiert. Vor der Tür wollte er plötzlich die Fäuste fliegen lassen. Da meinte ich zu ihm “Ich weiß genau wer du bist. Denk gut darüber nach, ob du es dir leisten kannst, auf Bewährung, Körperverletzung, Schadensersatz und Geschäftsausfall verklagt zu werden”. Den Kerl habe ich nie wiedergesehen.

 

Es bleibt bis heute eines der größten Vorurteile der Tattoo-Branche. Ein Künstler muss noch lange nicht alles stechen, nur weil der Kunde das will. Die Nutte auf der Reeperbahn erfüllt schließlich auch nicht jeden noch so exklusiven Wunsch, nur weil man sie bezahlt.

 

Ansonsten hatten wir aber nie etwas mit Schutzgelderpressung oder Drohungen zu tun. Vielleicht habe ich ja damals bei den Hells Angels einen kleinen Pluspunkt gesammelt, denn sie waren mit den Tätowierungen und meinen Tipps sehr zufrieden (lacht).

Q: Was sind heutzutage die begehrten Motive auf dem Kiez?

 

A: Maritime Motive, insbesondere der Astra-Anker, sind natürlich sehr gefragt. Wir versuchen, die Kunden dahingehend aber etwas zu beeinflussen, die Tätowierung möglichst individuell zu gestalten und persönliche Elemente mit einzubringen. Ein bereits bestehendes Tattoo, was jemand auf seinem Handy präsentiert, zu kopieren, ist ein absolutes No-Go.

Q: War das auch früher so?

 

A: Nein. Damals kamen die Leute mit einem Bildchen zur Tür rein und wollten genau das Motiv haben – auch wenn diese Ideen manchmal alles andere als gut überlegt waren. An diesem Punkt bin ich mit Hoffmann ab und zu aneinandergeraten. Er war ein absoluter Geschäftsmann, der im Falle des unzufriedenen Kunden mit einem Cover-up zwei Mal Geld verdienen wollte. Meine Vorstellung war vielmehr, den Kunden gut beraten und ihm so zu zeigen, dass ich Ahnung von meinem Handwerk habe.

P.S.Teil 2 des Interviews gibt’s nächste Woche zu lesen 😉 Die Arbeit der ältesten Tätowierstube in Deutschland könnt ihr euch auf https://www.die-aelteste.de/ anschauen. Falls ihr Anregungen, Ideen oder Wünsche für Blog-Posts rund ums Thema Tattoo habt, schickt uns gerne eine Nachricht auf Facebook oder eine E-Mail an: jules@mommyimsorry.com

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